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Wer bestimmt darüber, was die KI darf und was nicht?

Ich sitze im Zug, die Landschaft rauscht an mir vorbei. Vier Wochen einer anstrengenden Assistenz in Dresden liegen hinter mir. Ich bin am Anfang meines Sabbatjahres 2017 und sitze müde auf meinem Sessel und denke nach. Bis Morgen soll ich einen Antrag für die Förderung eines neuen Theaterstücks abgeben. Welches Thema könnte interessant sein?   Mir kommt der Gedanke, dass wir in einer spannenden Zeit des Wandels leben, die neue, digitale Welt, die so rasant ist wie dieser Zug, der über die Landschaft saust und wenn ich auf die Erde schaue, sehe ich wie die Geschwindigkeit alles vor meinen Augen verschwimmen lässt. Mein Blick schweift in die Ferne und ich betrachte die Landschaft, eine schöne Aussicht!

Die Idee ist geboren: Digitalisierung – wie sehr verändert sie unsere Arbeitswelt und unser Leben. Wir sind alle mittendrin und nur wenige ahnen, was auf uns zukommt. Wir sind ängstlich, hoffnungsvoll, skeptisch, euphorisch und zurückhaltend. Ich denke nach, schreibe den Antrag und schicke ihn ab.

Die Zusage für eine Förderung flattert ins Haus, ich lege die Idee für zehn Monate auf Eis, denn nun reise ich durch die große, weite Welt. Die Digitalisierung läuft mir nicht weg, sie kommt so oder so, ob ich mich damit beschäftige oder nicht, das ist sicher.

September 2018: Ich bin zurück, im Gepäck viele sehr schöne Erfahrungen. Naturerlebnisse meiner unzähligen Wanderungen in der Wildnis, tiefe menschliche Begegnungen – und ich kann es anfangs nicht fassen wie technisch es nun in meiner Arbeit zugehen wird.

Sucht der Mensch sich oft den Gegensatz? Ist es das, was uns begeistert, die Gegensätzlichkeit, um uns der Unterschiede bewusst zu werden? 

Ich lese, lese und lese und spreche mit Menschen und Experten und lese, schaue Videos, besuche Museen, gehe auf Kongresse. Die Komplexität des Themas lässt mein Vorhaben fast unmöglich erscheinen. Der Mut zur Lücke wird geboren. Wie viel weiß der/die Durchschnittszuschauer/in, von was kann ich ausgehen, was wird ihm/ihr fremd sein? Viele Fragezeichen und doch das Gefühl nicht aufgeben zu wollen, denn das Stück ist eine Herausforderung. Wir befinden uns mitten in der Möglichkeit einer verheißungsvollen Zukunft und/oder der totalen Überwachung, einer Zukunft voller Annehmlichkeiten und der kompletten Optimierung aller menschlichen Abläufe, einem Leben voller Möglichkeiten und Gefahren. Das Thema braucht alles: Mut, Zuversicht, Vorsicht, Kommunikationsbereitschaft, Widerstand, Respekt, Skepsis, Offenheit und Abenteuerlust.

Der Inhalt muss zur Form passen, die Idee einer App wird geboren, ein Format mit offenen Räumen und wandernden Zuschauer/innen, die sich in einer Bergwelt wiederfinden, denn die Gemeinsamkeit von Bergwelt und Digitalisierung liegt auf der Hand, Absturz und die Chance einer wundervollen Aussicht. Faszinierend was KI möglich machen wird und doch haben es Neuerungen auch immer schwer, denn die Komfortzone zu verlassen, ist für viele Menschen nicht einfach, auch dieser Aspekt findet sich in dem eigenwilligen Format des Theaterstücks wieder.

Felix Müller, der Geschäftsführer von Visionsbox sagt zu. Mit ihm zusammen wird die Vision eine App für das Stück zu bauen Realität. Ohne ihn würde es das Stück so nicht geben. Wir gehen gemeinsam einen für mich unbekannten Weg und ich bin froh ihn an der Seite zu wissen. Er wird zum größten Sponsor und Kooperationspartner. Jonas und Elias, zwei Studenten von der Hochschule, arbeiten sehr intensiv an den Sounds und Videos, immer wieder bereit, sich der Taktung unterzuordnen, Zeit einzusparen, Zeit zu dehnen. Zeit scheint ein riesiges Thema in der Digitalisierung zu sein. Christian hilft mit weiteren Sounds, Jonathan mit einem Animationsvideo. Gordon erstellt einen Styleguide und entwirft die komplette Grafik: Plakate, Flyer, Banner und macht sich Gedanken zum Licht und unterstützt uns im Bühnenbild. Die technische Realisierung wird gestützt von Benny, der uns vom Kulturbüro zur Verfügung gestellt wird. Immer wieder wird bewusst, wie klein das Team ist, wie begrenzt das Budget und wie viel Arbeit auf uns wartet. Wir versuchen zu sparen, denn auch die Anträge, die Heidrun akribisch an unterschiedliche Stiftungen gestellt hat, gehen nicht alle durch. Es scheint so, dass viele sich nicht vorstellen können, was wir vorhaben. Die Sponsorensuche ist mühsam, obwohl wir immer wieder Unterstützung und wertvolle Tipps erhalten, ist bis heute die Finanzierung nicht gesichert. Babs wird zur Heldin der Akquise gespendeter Kletterhelme und die Meisterin der Requisite. Immer wieder helfen uns Menschen mit Sachspenden, mit ein paar Stunden Arbeitskraft beim Bühnenbild und Tipps auf der Suche nach Sponsoren.

Eine arbeitsintensive Zeit beginnt, die Taktung einer Programmierung wird zur Herausforderung und wiederholt verabschiede ich mich von Ideen. Kill your darlings, ist in diesem Stück an der Tagesordnung, denn jeder Raum hat nur zehn Minuten Zeit zur Verfügung und die Begrenzung ist wichtig. Es gäbe so vieles, über das ich gerne berichten würde. Was bleibt, ist die Hoffnung es doch zu schaffen, denn wir haben bald gemerkt: Wir versuchen gerade etwas möglich zu machen, was eigentlich unmöglich ist. Zu wenig Arbeitskraft und der Tag hat nur 24 Stunden, es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.

Ein dokumentarisches Theaterstück mit dem Sportkletterer Fabian und elf Performer/innen, die in den unterschiedlichen Räumen Inhalte vermitteln, kleine Szenen spielen und das sieben Mal hintereinander. Für einen Schauspieler/in ist es ein interessantes Unterfangen, denn das Stück wird sich an jedem Abend im Kontakt mit dem Publikum weiterentwickeln.

Wir suchen als Spielort eine Industriehalle und Familie Lusch und Herrfurth geben uns ein Zuhause. Die Firma Dietrich nimmt uns für vier Wochen kostenlos in ihrer Halle auf. Ein großes Geschenk für uns. Die Dinge fügen sich.

Nachdenklich sitze ich immer wieder am Schreibtisch.

KI kann wundervoll sein, wenn man sie richtig einsetzt. KI braucht Werte, sie kann die Welt retten, ein Klimaprogramm erstellen, sie kann dafür sorgen, dass weniger Kriege ausbrechen, dass Krankheiten überwunden werden, dass Hungersnöte besiegt werden. Sie muss nur richtig eingesetzt werden, aber wer sorgt dafür?

KI kann grausam sein, wenn man sie falsch einsetzt. Sie kann Kriege entfachen, Macht manifestieren, unterdrücken, überwachen, dem Menschen das Leben zur Hölle machen, ihn vereinsamen lassen, ihn süchtig machen und ihn von den Menschen selbst entfremden.

Wer bestimmt darüber, was die KI darf und was nicht?

Was macht den Menschen im Vergleich zur Maschine aus? Ich sitze nachts im Freien und staune über den Sternenhimmel. Ich laufe durch die Natur und verstehe, dass ich ein Teil dessen bin und fühle mich zugehörig. Ich treffe Menschen, spüre die Tiefe in Gesprächen und fühle mich reich beschenkt. Die Maschine bleibt oberflächlich, sie bleibt, was sie ist, eine Maschine, die einfach berechnet, die nicht fühlt, die nur nachahmen kann, die nicht echt, nicht authentisch ist, die keine Sehnsucht in sich trägt und nicht von einer Vision angetrieben wird, die die magischen Momente zwischen zwei Menschen nicht sieht und nicht berücksichtigen kann. Wir brauchen den Menschen, als direktes Gegenüber, als warmen Impulsgeber in unserem Leben, die Nähe, die Authentizität und das Gefühl, die Empathie und Menschlichkeit. Das alles kann eine Maschine nicht geben, aber sie ist ein wundervolles Hilfsmittel, ich brauche sie jeden Tag. Jetzt schon befinden wir uns in der Interaktion mit ihr und weiten das Mensch – Maschine Verhältnis täglich aus. Ohne die Maschine würde es dieses Stück nicht geben. Sie ermöglicht uns das Format und zugleich begeben wir uns in die komplette Abhängigkeit. Funktioniert die Maschine nicht, gibt es kein Stück. Zwischendurch sehne ich mich nach dem „analogen“ Theater, das die Risiken des Scheiterns im Rahmen hält.

Immer wieder begegnet mir die Diskussion über die Wichtigkeit der Digitalisierung verbunden mit der Angst, den Zug zu verpassen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären  immens. Unsere Welt verändert sich, was bedeutet das für unser Leben ganz persönlich, wenn ich mich mit Maschinen umgebe?

Schon heute zeigt sich versteckt der Wandel im Kontakt untereinander. Die direkte Kommunikationsfähigkeit lässt nach, ich halte es nicht mehr aus, direkt Konflikte auszutragen. WhatsApp hilft mir dabei, aus Situationen, die mir unangenehm sind, annehmlich auszusteigen. Ich rede nicht mehr, ich schreibe und doch bleibt am Ende ein leeres Gefühl, dass darauf hindeutet, dass etwas nicht zu Ende geführt wurde. Was verpasse ich, wenn ich der Maschine zuviel Raum gebe?

Theater berührt, vielleicht dieses Theaterstück ein bisschen weniger, weil es  dokumentarisch ist und Emotionen nur am Rande Berücksichtigung finden, aber grundsätzlich ist Theater eine Form der Kommunikation, die sich der Gefühle bedient und die Tiefe erzeugt. Und genau das brauchen Kinder, Jugendliche, wir alle nötiger als früher, denn zur Disposition steht der direkte Kontakt, der schleichend verloren geht. Stärker denn je brauchen wir Menschen um uns herum, die uns herausfordern, die uns etwas abverlangen und uns stärken und uns nicht in eine Anonymität abgleiten lassen, nur so können wir Digitalisierung meistern.

Die Digitalisierung kommt, sie ist unaufhaltsam, sie ist schon da und sie wird uns viel Gutes bringen. Unsere Aufgabe wird es sein, sie zu gestalten und darüber zu wachen, dass sie nicht zu einem mächtigen, autoritären Instrument wird. Wir müssen Verantwortung übernehmen für uns und unser zukünftiges Leben, so dass die Digitalisierung den Menschen zu einem lebenswerten Leben führt. 

Wir dürfen nicht vergessen, was wir sind, wer wir sind und was wir möchten, denn am Ende soll die KI uns dienen und nicht wir der KI. 

An dieser Stelle möchte ich von Herzen bei unseren Sponsoren wie auch den  Menschen, die uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, bedanken. Ich möchte hier an dieser Stelle auf die Danksagung im Programmheft verweisen. Jeder kleine Schritt hat uns dazu verholfen, dass wir heute aufführen können und ich bin mir bewusst, dass eine Idee alleine nicht ausreicht, um ein Stück zu bauen, sondern wir brauchen Menschen, die diese Vision mit unterstützen. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir weiterhin gemeinsam Projekte verwirklichen, die visionär, ein bisschen unvorstellbar sind, denn das macht es am Ende aus, dass, was auf den ersten Blick unmöglich erscheint, auf einmal doch möglich wird.

Danke!

Herzlichst

Annette Müller



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